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Transalpine Run Tag 7 – Scuol nach Prad am Stilfserjoch

by Sigrid Eder
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Tag 7
44,5 km
2.460 Hm

Die Etappe am vorhergehenden Tag von Klosters bis Scuol war mit 48 Kilometern und 2.400 Höhenmetern ganz schön hart. Nicht nur körperlich, sondern wie im letzten Blog beschrieben, vor allem mental.

Die Unterkunft im Quellenhof Scuol versetzt uns mindestens 20 Jahre zurück. Mehrbettenzimmer mit durchhängenden Matratzen, Gemeinschaftsdusche und W-Lan nur am Gang. Schlimm war das überhaupt nicht, ganz im Gegenteil: total witzig. Plötzlich bekam man Leute zu Gesicht, quatschte miteinander, anstatt dass sich jeder nach dem Zieleinlauf im Zimmer verkroch.

Obwohl die Müdigkeit da war, wollten wir am Abend noch einmal ins Ziel schauen und fuhren dann mit der Gondel zum Pasta Plausch. Dort gab es herrliches Essen und eine ganz besondere Stimmung – war es doch nur noch eine Etappe, die auf uns wartete.

Nun aber zum letzten Tag:
Die Nacht ist unruhiger als sonst. Nicht wegen der Matratze, nein, ich kann einfach überhaupt nicht mehr schlafen und die Erleichterung ist groß, als es endlich 4.45 Uhr ist. Den Kopf unter das kalte Wasser stecken, Tasche fertig packen (das geht von Tag zu Tag immer schneller) und ab Richtung Frühstück. Tee, Kaffee (eine ‚Schledan‘ – wir freuen uns auf Italien), Weißbrot, Joghurt – Hauptsache noch einmal Energie tanken. Ich esse mittlerweile fast nur noch Dinge, die ich daheim kaum anrühre. Weißbrot mit Nutella? Mit so viel Süßem könnte man mich das Jahr über jagen.

Wie ist das Befinden heute? Nervös. Ja, ich bin zum ersten Mal seit Beginn des Transalpine Runs so richtig aufgeregt. Nicht wegen der körperlichen Herausforderung. Ich fühle mich auch nach wenig Schlaf sehr gut erholt und spüre vom Vortag so gut wie gar nichts.
Allerdings möchte ich einen wirklich guten und schönen Abschlusstag. Einen Tag, an dem wir als Team wieder super harmonieren. Einen Tag, an dem es im wahrsten Sinne des Wortes einfach läuft. Die abgesprochene Taktik für den heutigen Tag ist auf jeden Fall klar: „Gut und gesund ins Ziel kommen!“

Auf Richtung Start. So manch einer muss leider am letzten Tag noch aussteigen, andere sind verunsichert, weil Knie oder Oberschenkel nicht mehr so recht mitspielen. Wir sind in der Hinsicht wirklich mit Glück gesegnet, denn wir spüren beide einfach gar nichts. Na gut, meine Rippen von dem Bauchfleck gestern, aber das ist wirklich nicht der Rede wert.

Ein letztes Mal ertönt Highway to Hell, es wird geklatscht, der Countdown herunter gezählt und dann laufen wir aus Prad hinaus. Erst einmal geht es 1 oder 2 Kilometer abwärts durchs Dorf. Bereits hier fühlt sich alles an, als wären wir die letzten Tage gar nicht wirklich gelaufen. Danach steht uns ein 10-Kilometer-Anstieg mit 1.800 Höhenmetern bevor, bis auf 2.979 Meter auf die Fuorcla de Rims hinauf. Nach dem ganz kurzen Asphaltstück geht es schon in einen Trail hinein und wir gehen erstmal das Tempo der anderen Teams mit. Überholen ist hier sinnbefreit. Es geht heute recht einfach. Ich bin heute bei weitem nicht so gestresst wie gestern und Florian hängt sich geduldig hinten dran und wartet was ich mache bzw. welches Tempo ich anschlage. Zu viel Respekt vor dem Anstieg muss aber auch nicht sein. Als der Weg breiter wird, überholen wir einige Teams. Reinhard Wohlfahrter aus dem Pitztal, der bereits 10x mit dabei war und hier seinen letzten Transalpine Run bestreitet (übrigens mega, mega Respekt an der Stelle!) sagt zu mir: „Nur nicht zu schnell starten, Sigrid.“
Ich schätze den Tipp, überlege kurz und denke mir: Nein, das ist heute nicht zu schnell, es fühlt sich wirklich gut an. So gehen wir ein Stück voraus und genießen es nun, dass wir nicht in einer Gruppe unterwegs sind, sondern den Anstieg sozusagen für uns haben und unser eigenes Tempo gehen können. Die Zeit vergeht unglaublich schnell, bald schon erreichen wir die erste Verpflegungsstation an der Luschanhütte auf 2.500 Metern. Zu trinken haben wir aufgrund der kühlen Morgentemperaturen noch genug, also schnappen wir uns nur kurz ein Stück Brot und Kuchen, dann geht es schon weiter. Ab etwa 2.700 Metern merke ich, dass wir schon recht hoch oben sind. Die Luft wird ein bisschen dünner, der Atem ein wenig schneller. Es ist aber wunderschön hier oben und es sit echt ein Genuss Meter für Meter aufzusteigen, ehe wir aus der Ferne Streckenchef Martin erblicken, der es sich auch heute nicht nehmen lässt, jeden Teilnehmer anzufeuern.

Es ist ein wirklich tolles Gefühl, den Anstieg geschafft zu haben. Das Panorama ist wunderschön, die Sonne strahlt auch am letzten Tag für uns! Es folgt ein Downhill, der teils technisch ist, aber bei weitem nicht so wie die letzten beiden Tage. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich heute wieder mit dem Sense Ride unterwegs bin und der ausgelatschte Hoka Speedgoat am Vortag im Mülleimer gelandet ist. Immer noch mit Respekt, aber wesentlich sicherer geht es heute abwärts. Heute macht es mir überhaupt nichts aus, wenn Florian ein wenig voraus läuft – das passt so wie es ist. Wir sind beide guter Dinge!
Das Tal rückt immer näher in Sichtweite und so auch die zweite Verpflegung. Noch ein paar wellige Kilometer auf einer Forststraße, dann gibt es ein Nusskipferl und schon wieder Kuchen (Habe ich schon erwähnt, dass ich im Normalfall Kuchen nur aus Höflichkeit esse?). Auch die Flaschen werden jetzt randvoll angefüllt, denn es ist schon wieder warm in den Bergen und ausreichend zu trinken sollte man auch am letzten Tag nicht vergessen.

Noch einmal steigt der Weg an, 100 oder 200 Höhenmeter geht es aufwärts, bevor wir den Höhenweg erreichen. Dieser ist wunderschön zu laufen – ja, wirklich richtig gut zu laufen, denn wir haben ein gutes Tempo drauf. Wir ziehen vorbei an vielen Wanderern. Die einen sind begeistert, und feuern uns an, die anderen genervt, denn eine ruhige Wanderung ist bei dem Verkehr heute natürlich nicht drin.
Die Kilometer vergehen wie im Flug. Nach dem Höhenweg geht es kurz steil abwärts, über Wiesen und auf feinen Trails. Das Tempo wird immer flotter und kurz frage ich mich ob das jetzt sinnvoll ist, so schnell zu laufen, liegen doch immer noch 20 bis 25 Kilometer vor uns. Zu viel denken bringt aber auch nix, was soll’s, wird schon klappen.
Die dritte Verpflegung ist 17 Kilometer vor dem Ziel. Langsam ist es vorbei mit der Lust auf Süßes. Eine Salzkartoffel und ein Stück Brot schmecken jetzt schon wesentlich besser. Auch hier lassen wir nichts anbrennen – schnell die Flaschen auffüllen und weiter. Jetzt folgt ein Stück Asphalt, das ist nicht gerade fein, aber manchmal geht es eben nicht anders.

Die Stimmung heute ist eine ganz Andere als an den letzten Tagen. Bis auf wenige Ausnahmen merkt man, dass bei den Teams der Stress abfällt. Es wird viel mehr geredet und je näher wir dem Ziel kommen, desto gelöster ist jeder. Michael von Dynafit, den ich schon sehr lange kenne, ist heute auch hier unterwegs und begleitet uns einige Kilometer. So vergeht die Zeit noch viel schneller. Einzeltstarter Dennis, dessen Teampartner aus privaten Gründen nach der 3. Etappe aufhören musste, freut sich ebenso, nicht mehr alleine unterwegs zu sein und schließt sich uns an.
Forstraßen wechseln jetzt nochmal mit einem Asphaltabschnitt. Das ist vor allem für den Kopf eine kleine Challenge, aber lange kann es ja nicht mehr dauern bis zum 10-Kilometer-Schild.
Das Tempo ist bei knapp über 5 min/km, also von langsam kann keine Rede sein.
Nach dem 10er geht es noch einmal bergauf. Die Oberschenkel geben nicht mehr viel her. Stöcke nochmal raus? Nein. Nach 100 Metern dann doch. Geht trotzdem schneller. Voller Stockeinsatz und hinauf.
Immer wieder fällt der Blick auf meine Uhr. Jetzt sind es nur noch 9 Kilometer. Dann nur noch 8 … da kommt sogar noch einmal eine Labe. Jetzt aber bitte nur noch Cola, sicherheitshalber ein Gel dazu, damit nicht knapp vor dem Ziel ein Einbruch kommt. Meine linke Wade spricht zu mir: „War heute ein bissl viel Zucker, hm? Gib mir eine Salztablette, sonst strafe ich dich mit einem Krampf.“ Das mache ich und hoffe, dass es wirkt.
Wir flitzen über wunderschöne Trails und holen plötzlich Teams ein, die wir die ganze Woche noch nicht gesehen haben. Wo kommt diese Energie her? Wir laufen ein echt hohes Tempo, Florian ist ganz begeistert, ich auch! Das fühlt sich heute richtig genial an.
5 km to go. Wo ist #vpschnaps? Der Weg ist sicher zu schmal… kommt bestimmt noch.
Beim 4er, da ist er! Bitte einen Aperol! Ja und wie der schmeckt – herrlich!
Kurz wird nachgefragt ob es jetzt noch einmal bergauf geht, denn eigentlich sind die Höhenmeter des Tages längst absvolviert. „Ja, aber nur noch bis zur Kapelle hinauf.“ Super, denken wir uns. Da ist ja die Kapelle. Und was folgt dann: Noch einmal ein steiler Anstieg. Das kann uns die gute Laune aber nicht vermiesen, denn wir überholen mehr und mehr Läufer.
Ein wunderschöner Singletrail bis zu Kilometer 3. Dann 2. „Nur nicht unachtsam werden. Jetzt nicht mehr hinfallen.“ Das Tempo wird höher. Nein, nix ist es mit hinfallen. Das ist jetzt wurzeliges Gelände à la Mühlviertel! WIr sausen aus dem Wald hinaus. 1 km to go. Es geht durch eine Apfelplantage und dann hören wir schon den Zielsprecher. Unglaublich! Dennis, Florian und ich reichen uns die Hände und laufen durchs Ziel. Es ist echt geschafft, was war das für ein mega Tag! Unser stärkster und schönster Tag ganz zum Schluss – besser geht es gar nicht. 44,5 Kilometer und 2.460 Höhenmeter am letzten Tag in 6:53 Stunden zu laufen, damit hätten wir beide wirklich nicht gerechnet.

Das Gefühl beim Zieleinlauf ist ein Mix aus Glück und Dankbarkeit. Vor allem Letzteres. Dankbar, dass wir es gesund zu zweit über die Alpen geschafft haben.
Den ganzen Nachmittag und Abend verbringen wir im Zielgelände, trinken Bier, essen Pizza, Parmesan, Chips, alles was das Herz begehrt. Es wird gelacht, gratuliert, man umarmt sich und feuert jeden einzelnen an, der ebenso das Ziel erreicht.

Was von dieser Woche bleibt ist vor allem Dankbarkeit. Ich bin dankbar, dass ich das Vertrauen in meinen Körper, das mir so lange gefehlt hat, wieder habe. Ich war schon bei sehr vielen Rennen am Start, der heurige Transalpine Run war ein ganz Besonderes.

Danke Florian

für deine Geduld, für die Ruhe und dein Vertrauen. Wir haben sehr oft sehr wenig miteinander gesprochen, weil es gar nicht notwendig war. Spüren, was der andere braucht, sich auf einen anderen Rhythmus einzulassen ist nicht immer eine einfache Aufgabe. Wir haben viele Teams gesehen, die gut miteinander funktioniert haben, wir haben aber auch viele Teams gesehen, die den Begriff Team noch nicht verstanden haben. Es ist wohl bei den allerwenigsten der Fall, dass Tempo und Leistungsfähigkeit genau zusammen passen. Sowohl für den stärkeren, als auch für den schwächeren Partner stellt ein 7-tägiges Etappenrennen eine große Herausforderung dar. Der eine muss zurückstecken, der andere manchmal übers Limit gehen.
Wie wichtig es vor allem ist, Dinge auszusprechen und offen über Probleme oder Sorgen zu reden, ist mir diese Woche einmal mehr bewusst geworden.

Danke Florian, dass du mich vor eineinhalb Jahren gefragt hast, ob ich mit dir den Transalpine Run laufen würde. Hätte ich im Frühjahr 2020 gewusst, was alles auf mich zukommen würde, hätte ich ganz, ganz sicher nein gesagt. Hätte ich die Frage im Frühjahr 2021 gestellt bekommen, hätte ich ebenso nein gesagt. Im Nachhinein gesehen war es vielleicht eins der besten Dinge, die dieses Jahr passieren konnten. Denn sonst hätte ich vermutlich nicht so sehr an mir gearbeitet, ich hätte vermutlich gar nicht an die Möglichkeit gedacht, wieder bei so einem Lauf zu starten. Ja, und niemals hätte ich gedacht, dass mir diese Woche soviel Vertrauen zurückschenken würde. Ich weiß jetzt, dass wieder alles möglich ist, dass es keinen Grund gibt, Angst zu haben.

Nachsatz zum Thema Vertrauen und Gesundheit
Mehr als einmal wurde mir gesagt, dass laufen, vor allem in den Bergen, nach einem doppelten Bandscheibenvorfall nicht mehr möglich ist. Zu groß sei die Belastung, vor allem beim Bergablaufen. Ich war mir selbst bis wenige Tage vor dem Start nicht sicher, ob es möglich ist. Ein, zwei Trainingstage in den Bergen mit vielen Höhenmetern: Ja. Aber eine ganze Woche? Ich bin so froh, dass ich mich nicht selbst aufgegeben habe. Dass ich immer und immer wieder meine Fußmuskulatur trainiert, Stabitraining gemacht habe, Dehnungsübungen und vieles mehr. Das ist aber nicht alles. Das mit Abstand Wichtigste war die Arbeit an mir selbst. Ich habe nach einem privat sehr schwierigen Jahr ziemlich ‚tief gegraben‘ und mich mit vielen Themen auseinandergesetzt, die nicht einfach, aber notwendig waren. Nachdem ich jetzt mit Finisher Shirt und Medaille in der Tasche am Heimweg bin, bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass Verletzungen und körperliche Probleme ausnahmslos auch einen seelischen Hintergrund haben. Wer diesen ignoriert, wird vermutlich immer wieder zu kämpfen haben.

Ein kompletter Sportler ist nicht derjenige, der wie besessen trainiert, vielleicht das Glück hat in den Bergen zu wohnen, Unterstützung von der Familie bekommt und vieles mehr. Das ist vielleicht 1 Prozent derer, die bei einem Rennen wie dem Transalpine Run am Start stehen. Der große Rest, die meisten Läufer lebt dieses eine Woche in der ‚Transalpine Blase‘, zuhause aber gibt es unzählige Herausforderungen. Jeder, der hier dabei war, ins Ziel gekommen ist oder es auch einfach versucht hat, dem gebührt Respekt. Wer es nicht geschafft hat, hat bis 2024 die Gelegenheit dazu, denn so lange wird des den ‚TAR‘ noch geben.
Die Woche bestätigt mich auch als Coach noch mehr, einen Mensch nicht nach Zahlen zu trainieren, sondern das große Ganze zu sehen.

Danke an Plan B
für die Duchführung des heurigen Transalpine Runs und dass ihr so vielen begeisterten Läufern die Möglichkeit gegeben habt, wieder gemeinsam unterwegs zu sein und diese eine Leidenschaft zu teilen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie anstrengend es gewesen sein muss, nicht zu wissen ob man aufgrund der Covid-19 Bestimmungen nun ins nächste Land laufen darf oder nicht. Euch gebührt riesengroßer Respekt für eure Bemühungen, die Herzlichkeit und einfach für die Chance, die ihr uns Läufern gebt, eine solche Woche in den Bergen zu erleben.

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