[highlight]- Come on Sigrid, you can do it!a –
– I will, I am fighting.a – (fighting like hell!)
– We are all fighting, we are all in survival mode nowa – , [/highlight] so der Portugiese.
Ich bin am Ende meiner Kräfte, die Hitze setzt mir zu, ich habe Krämpfe in den Oberschenkeln, von denen ich bisher nicht wusste, dass es sie gibt. Und dennoch ist für mich ganz klar: Nichts, aber auch gar nichts, wird mich von diesem WM Finish hier abbringen.
Im Sommer bekomme ich eine E-Mail vom österreichischen Leichtathletikverband, ich bin für die Ultra Trail WM in Portugal nominiert. 85 Kilometer und 5.000 Höhenmeter warten dort auf die Teilnehmer. Auch wenn ich von Selbstzweifeln geplagt bin, entscheide ich mich für einen Start. Denn wer weiß, ob ich die Chance jemals wieder bekomme. Das Leben lässt sich nicht planen, ich greife also zu und werde zum ersten Mal in meinem Leben bei einer Weltmeisterschaft an den Start gehen. völlig surreal.
Ab in den Süden
Ende Oktober steige ich ins Flugzeug, das mich in den Süden bringt – nerväs, angespannt, aber auch ein wenig stolz. Hola Portugal!
Nach einem langen Reisetag geht es am Abend noch zur Athleten-Akkreditierung, danach falle ich schon bald sehr müde ins Bett. Einen Tag später ist gleichzeitig schon einen Tag vor dem Rennen. Je näher der Bewerb kommt, desto mehr nimmt aber die Nervosität ab; stattdessen bin ich sehr fokussiert. Ich fühle mich gut und ich freue mich, wenn es endlich losgeht, ist doch seit Wochen kein Tag ohne einen Gedanken an diese WM vergangen.
Der Tag vor dem Rennen
Am Vormittag laufe ich ein paar Kilometer, um die Müdigkeit der Anreise zu vertreiben. Anschließend mache ich mich auf zur Mannschaftsbesprechung. Auf der Strecke gibt es drei größere Verpflegungsstellen, an denen man nicht nur zu essen und trinken bekommt, sondern auch auf vertraute Gesichter trifft. Das hilft der Psyche auf so einer Distanz ganz enorm.
Am Nachmittag machen wir uns auf in die Stadt Braga und nehmen geschlossen an der Flaggenparade teil. Flo trägt die österreichische Fahne, wir genießen alle gemeinsam die besondere Stimmung. Jeder Athlet, egal aus welchem Land, steht hier freudestrahlend in Braga.
Am Abend heißt es wie vor jedem Rennen: Sachen vorbereiten, dreimal kontrollieren ob nichts vergessen wurde und den Wecker doppelt stellen, denn dieser soll bereits um 2:30 Uhr klingeln.
Auf zum Start
Um diese Uhrzeit ist der Appetit nicht vorhanden, dennoch zwinge ich mich zu einem Frühstück, bevor es Richtung Startort geht. Dieser ist 45 Autominuten entfernt. Gemeinsam mit Sibylle und Gerhard sitzen wir bei unserem Teamchef im Auto und sind alle miteinander froh, dass wir dorthin chauffiert werden. Im Auto ist es ruhig, wir reden nicht viel, jeder ist konzentriert und denkt an die bevorstehende Aufgabe, das ganz besondere Rennen.
Nach einem letzten Boxenstopp auf der Toilette reihen wir uns ein. 250 Läufer aus über 30 Nationen sind hier am Start, und wir österreicher mittendrin.
5 Uhr. Puff. Der Startschuss ist gefallen. Endlich ist es soweit. Wir eilen hinaus aus der Stadt, hinein in den ersten Anstieg. Zügig, aber kontrolliert geht es aufwärts. Auf den ersten 15 Kilometern warten 1.000 Höhenmeter, nach 30 Kilometern sind es bereits 2.000. Ich fühle mich sehr gut, die Strecke ist perfekt markiert und so muss man auch alleine in der Dunkelheit keine Angst haben, sich zu verlaufen.
Sonnenaufgang
Nach etwa zweieinhalb Stunden geht im Peneda-Geres-Nationalpark die Sonne auf, ein traumhaftes Panorama! Ich freue mich immer noch wie ein kleines Kind, hier mit dabei sein zu dürfen. Viele Rennen und Bewerbe habe ich bereits abgeschlossen, aber diese WM hier ist etwas ganz Anderes. Es ist schwer zu beschreiben, wie man sich fühlt, wenn man eine Nationaldress trägt. Alles, was ich heute will, ist mein Bestes geben und natürlich finishen. Nach knapp über 4 Stunden erreiche ich die 30 Kilometer-Marke und bin erleichtert, denn es läuft gut und bis zum Zeitlimit wäre noch mehr als eine Stunde Zeit.
Kein Wasser in Sicht
Der Streckenabschnitt zwischen Kilometer 30 und 46 mit 1.500 Höhenmetern nimmt mir (und vielen anderen) allerdings den Wind aus den Segeln und soll beweisen, dass man auch als erfahrener Läufer schwerwiegende Fehler machen kann. Zwei 500 ml Flaschen Wasser habe ich dabei, im Normalfall reicht das aus, immer. Nicht heute. Schon bald muss ich meine Wasservorräte rationieren. Von Fokus und Konzentration ist nicht mehr viel übrig, zum Glück ist gerade eine Portugiesin hinter mir, die mir zuruft, denn ich wäre falsch abgebogen. – Reiss dich zusammen!a – , ermahne ich mich selbst. Nach jeweils 100 Höhenmetern erlaube ich mir, einen Schluck zu trinken, auf keinen Fall mehr. Ich habe das Gefühl zu verdursten. Die Sonne heizt gnadenlos auf die Strecke und der Bergrücken nimmt kein Ende. Alle Leute auf der Strecke frage ich: – Do you have some water?a – . Die Antwort ist immer die Gleiche: No. Sogar zwei Portugiesen, die uns Läufern mit großen Wasserkanistern entgegenkommen, geben keinen Tropfen davon ab. Jetzt nur keine Panik bekommen, so das Credo; ruhig und bedacht weiterlaufen.
Meine Nieren schmerzen, die Energie neigt sich dem Ende zu. Endlich ist sie da, die rettende Wasserstelle. Erst einmal trinken: Wasser, Cola und dann noch die Flaschen auffüllen. Alles wieder gutä – äfür den Moment – die lange Durststrecke soll sich später noch rächen –
Auf und ab
Doch erst einmal geht es abwärts, 8 einfache Kilometer bis zur nächsten größeren Verpflegungsstation, auf denen ich mich gut erhole. Ich bin zwar nicht superfit, aber einigermaßen ok – äso wie man sich eben nach etwa 8 Stunden Hitze und Anstrengung fühlt. Optimismus und Zuversicht kehren zurück.
Bei der zweiten Verpflegungsstation an Kilometer 54 halte ich mich nicht lange auf. Mein Ziel ist schließlich die Ziellinie, bis dorthin sind es nur noch 31 Kilometer. Was soll jetzt noch passieren? Zudem kommt jetzt ein einfaches Stück mit 9 Kilometer und nur 300 Höhenmetern. Ich laufe locker und flott weiter, das Leben meint es heute aber gut mit mir. Bis der Ultralauf wieder einmal beweist, dass sich von einer Minute auf die andere alles ändern kann.
Krampf! Mein ganzer Oberschenkel zieht sich zusammen. Niemals, in keinem Rennen hatte ich jemals einen Krampf. So fühlt sich das also an. Laufen? Unmöglich. Gehen? Unmöglich. Humpeln?
Ein Ultralauf ist nicht nur Ausdauersport, es ist auch Krisenmanagement. Taucht ein Problem auf, brauchst du eine Lösung.
Leicht verzweifelt trinke und trinke ich, nehme Salztabletten zu mir, humple vor mich hin, gehe rückwärts wenn es notwendig ist. Der vermeintlich einfache Streckenteil wird für mich zur Probe. Dazu ist es märderisch heiß, der Untergrund ist schwarz. Ob das Sand oder Asche ist, frage ich mich, bis mir plötzlich eins der Lieblingslieder unseres fünfjährigen Sohnes von Rolf Zuckowski in den Sinn kommt.
– Ich schaff das schon, ich schaff das schon, ich schaff das ganz alleine – .Ich komm bestimmt, ich komm bestimmt, bald wieder auf die Beine.a –
Mir ist unendlich schlecht, jede schnellere Bewegung führt zu einem Krampf und ich quäle mich so, wie man sich eben quälen kann und bei einem Ultralauf manchmal quälen muss. – Das hier ist die WM, hast du gedacht, das wird einfach?a –
Selbstmitleid bringt mich nicht ins Ziel. Ich motiviere mich also von Kilometer zu Kilometer. Bei km 64 ist wieder eine Wasserstelle. Wieder nehme ich Cola zu mir, fülle das Wasser auf und ziehe weiter. Viele Läufer geben hier auf, einige kommen vom letzten Berg wieder retour mit dem Kommentar – I – m out.a –
– Ich brauch dazu, ich brauch dazu, vielleicht ne Menge Kraft. Doch ich hab immerhin schon ganz was Anderes geschafft.a –
Immer wieder summe ich die Melodie vor mich hin.
Der letzte Berg mit knapp 1.000 Höhenmetern erscheint wie der Mount Everest. – 100 Höhenmeter, dann isst du einen Traubenzucker und trinkst.a – Immer wieder, immer wieder.. so schreite ich aufwärts. Ich komme hier ins Ziel, so viel ist sicher, ich müsste schon umfallen, damit das Universum mein WM-Finish verhindern könnte. Bis dorthin gilt:
– Solange dich deine Füße tragen, kannst du auch kämpfen.a –
Und so erreiche ich den Gipfel, auf dem sogar ein Brunnen steht. Dieser ist zum Glück keine Fata Morgana. Der Kopf wird unter das herrlich kalte Wasser gehalten und dann, endlich, führt der Weg abwärts. Ich fühle mich komatäs, weiß aber, dass der schwierigste Teil jetzt hinter mir liegt. Von hinten erreicht mich jetzt Teamkollegin Verena und überholt mich. Ich freue mich, ein vertrautes Gesicht zu sehen und versuche, alles Negative auszublenden. plötzlich läuft es wieder besser – wenn nicht diese Gegenanstiege wären, die mich immer wieder zum Stehenbleiben zwingen. Davon abgesehen geht es aber wieder einigermaßen voran.
Die letzten Kilometer
Der letzte Verpflegungspunkt ist erreicht, Betreuer Michael reicht mir eine basische Mischung, die mir noch ein wenig helfen soll. 12 Kilometer bis ins Ziel. Auch wenn ich jeden Gegenanstieg verfluche, wird mir bewusst: Ich komme hier ins Ziel, und zwar ganz sicher. Die letzten Kilometer fliege ich färmlich bergab. Nichts kann mich aufhalten, ich bin schon jetzt überglücklich. Der Moderator ist zu hären, ich biege um die letzte Kurve, Michael reicht mir die rot-weiß-rote Fahne und ich laufe nach 13 Stunden und 45 Minuten mit der größten Freude, die man sich vorstellen kann, ins Ziel.
Danke an alle, die dabei waren, die geholfen haben und die Tage in Portugal zu dem gemacht haben, was es war – ein unvergessliches Erlebnis.