Ausgleichssport Klettern
Als passionierter Kletterer, Sportwissenschafter und Mitgestalter des Wörthersee Ultra Trails wurde ich eingeladen, meine Gedanken zum Klettern als Ausgleichssport bzw. alternatives Training zum Trailrunning niederzuschreiben. Gerne komme ich dem nach, und lege – ohne wissenschaftlichen Anspruch – meine Gedanken dar.
Der Klettersport bietet mit seinen Disziplinen Klettersteig, Bouldern, Sportklettern und Alpinklettern eine sehr gute Möglichkeit für einen Ausgleich zum Trailrunning. Mit den hohen Kraft- und Koordinationsanforderungen bieten die azyklischen Bewegungsmuster in der Vertikalen eine willkommene Abwechslung bzw. supplementäre Trainingsmöglichkeit zum zyklischen, langzeitausdauer-lastigen Laufen.
Stärkung Oberkörper
Wer regelmäßig Klettersport betreibt, stärkt zwangsweise viele Muskelgruppen bzw. Muskelschlingen im gesamten Oberkörper. Fürs Trailrunning sind hier vereinfacht dargestellt insbesondere die Muskelschlingen Arme – Brustmuskeln / Schultergürtel – Rumpf, sowie die Stabilisatoren Bauchmuskeln – Rückenstrecker von zentraler Bedeutung. Aber neben dem „Kraft“ Aspekt beeinflusst Klettern vor allem die Koordination. Und wer entsprechend lange Routen in Angriff nimmt, hat auch die Möglichkeit seinen gesamten Körper im Bereich der Langzeitausdauer auf lange Trails vorzubereiten.
Kraft Aspekt
Klettern ist neben sehr viel Technik und Koordination vor allem eines: Kraftsport. Je steiler die Kletterei, desto mehr muss der Oberkörper belastet werden.
Wer als Ausgleich zum Trailrunning, bzw. zum ergänzenden Training das Klettern ins Auge fasst, findet in Boulderhallen einen idealen Einstieg in die Vertikale. Günstig, gesellig und unkompliziert.
Ein- bis zwei Boulderhallen Besuche pro Woche über den Winter, können die Stabilisation im Oberkörper positiv beeinflussen. Denn die repetitiven Bewegungen beim Bouldern beinhalten immer große Muskelschlingen. Unterarme, Oberarme, Brustmuskeln, Schultergürtel, Rumpfstabilisatoren.
Vorteile die sich daraus ergeben können sind zum einen ein sauberer Laufstil durch weniger Rotation in der oberen Extremität. Zudem bleibt der Schwerpunkt durch einen aufrechteren Oberkörper länger über der Hüfte was ebenfalls „Kraft“ spart. Zum anderen hat man in steilen (Berglauf)passagen bei der Verwendung von Stöcken bzw. beim Abstützen mit den Armen auf den Oberschenkeln, mehr und länger „Saft“.
Koordination
Alle Spielformen des Kletterns haben neben einer hohen Kraft Komponente eben auch sehr viel mit Koordination (Anm. folglich Technik) zu tun. Die zeitlich, stärke- und umfanglich abgestimmten Impulse sind Grundlage für eine technisch saubere Bewegung.
In flachen Laufpassagen und auf breiten Wegen müssen wir nicht mehr nachdenken, wann, wir wo mit wieviel Krafteinsatz exakt wie die Füße setzen. Wir haben es im wahrsten Sinne von „klein auf“ gelernt. Je steiler aber das Gelände wird, desto weniger haben wir abgespeicherte Bewegungsmuster, die wir automatisch anwenden um die jeweilige Bewegungsaufgabe zu lösen. Und hier kommt das Klettern ins Spiel. Wer regelmäßig in der Vertikalen unterwegs ist, wie zum Beispiel beim Klettersteig gehen, wird seine Koordination beim „Gehen in der Vertikalen“ wesentlich verbessern.
Eine gewollte Konsequenz daraus ist natürlich das reflexartige Anwenden der erlernten Bewegungsmuster in steilen Trail Abschnitten. Egal ob es aufwärts oder abwärts geht. Wer ein entsprechend großes Repertoire an passenden Bewegungsmustern abgespeichert hat, wird instinktiv zur exakten Zeit, in der geringsten notwendigen Stärke und im erforderten Umfang die Impulse für die richtige Bewegung geben. Bein genau soweit anheben, Fußfläche exakt in diesem Winkel auf den Tritt hinstellen, mit der Hüfte / Schwerpunkt schön drüber gehen, jetzt Gewicht über das Bein bringen, aufdrücken. Schon erledigt!
Lange Klettertouren
Klettersteige im alpinen Gelände mit entsprechenden Zustiegen, oder auch leichte alpine Route bieten meiner Erfahrung nach eine sehr gute Möglichkeit, eine ganz konkrete „Lektion“ für das Trail Running zu lernen.
Ich nenne es die Dimension der „Gesamtheitlichkeit“.
Für mich beinhaltet dieser Begriff eine Belastung im Bereich der Langzeitausdauer, kombiniert mit erhöhter psychischer Belastung, einer entsprechenden Planung, der passenden Nahrungsaufnahme, einer konkreten Taktik und einem Anteil unvorhersehbarer äußerer (Wetter)Einflüsse. Und allen voran die Frage: Wie gut bin ich beieinander, was ist sportlich in meiner Reichweite?
Lange Klettertouren in den Bergen beanspruchen den ganzen Körper auf eine ganz eigene Art und Weise. Mit niedriger Intensität, aber über einen langen Zeitraum, werden sowohl untere wie auch obere Extremitäten belastet. Obendrein muss man sich eine passende Taktik zurecht legen. Wann will ich wo sein? Welchen Pace schaffe ich? Wie ist es mit Trinken und Essen? Wo werde ich müde im Kopf sein und brauche eine Rast? Der Gipfel ist nur die halbe Miete, wie sieht die Taktik im Abstieg aus?
Natürlich liegen die Vergleiche mit dem Trail Running auf der Hand, daher möchte ich nicht detailliert auf die einzelnen Aspekte eingehen. Viel entscheidender erscheint mir die Sache an sich, die Selbstverständlichkeit des Herangehens an diese komplexe Aufgabe.
Wer genug lange Bergtage hinter sich gebracht hat, entwickelt meist ein praxisnahes Handlungsdenken. Und aus dem konsistenten Handlungsdenken wird eine stabile Handlungsumsetzung. Einfach gesagt, man macht seine Gedanken irgendwann zu einem kraftvollen Handeln.
Das wäre eine simple, aber stets ehrlich zutreffende Einschätzung von sich selbst und seinem Leistungsniveau. Dann die Entwicklung eines realistischen Handlungsplans mit „dem Zug“ zur detailgetreuen Umsetzung. Wirklich auf seinen Körper hören und langsam losgehen. Immer genug Reserven für den Abstieg lassen. Exakt wissen was einem zum Essen am Vorabend gut tut. Stets Bekleidung und Schuhe perfekt abstimmen. Immer Plan B im Köcher haben.
Wir kennen dies vielleicht von dem Spruch „Pass auf was du denkst, irgendwann werden deine Gedanken zu deinen Handlungen!“
Ohne einen Anspruch auf Gültigkeit vorauszusetzen, könnte man es so definieren: Wer eine Selbstverständlichkeit entwickelt, wie er mit den vielfältigen Rahmenbedingungen von komplexen sportlichen Herausforderungen umgeht, kann sich viel mehr auf das eigensächliche Tun konzentrieren.
Gerhard Schaar
Gerhard Schaar ist für die Wörthersee Tourismus und Veranstalter Mach3 bei der Organisation des Wörthersee Ultra Trail beteiligt. Er klettert seit fast 30 Jahren und ist Autor des Kletterführer Maltatal.
Das Buch stellt unzählige Klettermöglichkeiten (Sportklettern, Bouldern, Klettersteig, Alpinklettern) im Maltatal, dem Millstätter See und unteren Mölltal vor. Eine Region, die sich ideal für Kletterabenteuer und Trail Running Spass eignet.
Buchtipp
Neuauflage „Maltatal Kletterführer“
im Juni 2019
Erhältlich via:
www.maltatal.rocks
www.rockstore.at