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Wenn man plötzlich die Stärkere ist – eine emotionale Achterbahnfahrt im Sinne der Freundschaft
„Das ist mein letzter 100er“.
Wir sind um Mitternacht gestartet und ich habe ein Problem: Die Frage nach dem Warum. Wenn man sich auf ein Unterfangen von 110 Kilometern und 6500 Höhenmetern einlässt, sollte man das aus voller überzeugung tun.
Meine einzige überzeugung ist, dass ich für eine sehr lange Zeit keine solche Distanz mehr laufen werde. Wozu? Ich finde keinen Sinn in meinem Tun, alles was ich die ersten Stunden sehe, sind Wurzeln und Steine im hellen Schein meiner Stirnlampe. Weil ich aber irgendeine Motivation brauche, um die Nachtstunden gut zu überstehen, rede ich mir ein, das sei mein Adä an den Ultra. „Das ziehst du jetzt noch durch und dann lässt du es sein!“
Kilometer 23: Labestation Ferleiten
Alles im grünen Bereich – Körperlich. Dass ich hier am liebsten Schluss machen würde, muss ja niemand wissen. Das mache ich natürlich nicht – äwäre schließlich peinlich.
Die erste Bergwertung
Was jetzt folgt ist der lange Aufstieg zur Pfandlscharte – 2.000 Höhenmeter. Mein Respekt ist sehr, sehr groß.
Die Tage vor dem Lauf gehen mir nämlich 1000 Dinge durch den Kopf: Was, wenn ich die Strecke gar nicht schaffe? Was, wenn ich auf über 2.500 Höhenmetern Probleme bekomme?
Werde ich mehr als 6000 Höhenmeter überhaupt bewältigen können?
Viel Zeit für Berge hatte ich heuer nicht. Was bleibt, sind 1000 Fragen, keine Antworten und jede Menge Beunruhigung.
Was mich beruhigt: Mein guter Freund Heli ist wieder einmal mit mir am Start. Ein- oder zweimal im Jahr machen wir gemeinsam eine Langdistanz. Heli ist unglaublich stark, immer. Ein wahrer Fels in der Brandung. Wir werden das schon hinbekommen.
Kilometer 30, mitten im Anstieg
Ich bin müde. Ich brauche Zucker. Koffein. Alles, das mich wachrüttelt. Mein Rucksack ist gut gefüllt, nach Schokolade und einem Koffein-Shot fliege ich plötzlich den Berg hinauf, ich fühle mich blendend. Als die Sonne aufgeht, sind all meine negativen Gedanken wie weggeblasen. Diese Landschaft ist so unglaublich schön, ich habe das Gefühl, die ganze Energie der Natur in mir aufzunehmen. währendich vor Begeisterung sprühe, wirkt Heli ein wenig müde. Eigenartig, aber das wird bestimmt gleich wieder besser.
Es geht steil bergauf, über ein Schneefeld und Geröll bis hinauf zur Scharte. Unglaublich dankbar und glückselig stehe ich da oben, blicke in alle Richtungen und freue mich, das hier erleben zu dürfen. Meine Anti-Ultra-Pläne werden von diesem Panorama zerstört.
Glocknerhaus
Nach der Pfandlscharte geht es bergauf und bergab in Richtung Glocknerhaus. Dort stärken wir uns mit Gemüsesuppe, Kaffee und Käsebroten, immerhin wartet in Kürze bereits der nächste Anstieg.
Ich fühle mich bärenstark, wir gehen aber nur langsam aufwärts. Macht nichts, denke ich, denn es wartet noch eine so lange Strecke auf uns, vermutlich ist es gut, einen Gang zurückzuschalten und Kräfte zu sparen.
Ein Team
Immerzu geht es bergauf, begleitet von der traumhaften Berglandschaft. Erst zur Salmhütte, weiter zur Pfortscharte – brutal steil bergauf – dann weiter Richtung Stüdlhütte. Heli macht mir Sorgen, mein Fels in der Brandung scheint gerade gewaltig zu bräckeln. „Heli, du bist ganz blass, bist du dir sicher, dass du weitergehen kannst?“ – Jaja, versichert er mir, „mir geht es gut, ich bin nur gerade leer. Lauf du nur weiter, du bist heute so gut drauf, mach dein Rennen.“
Das kommt allerdings überhaupt nicht in Frage, keinen Meter könnte ich hier genießen, in dem Wissen, dass es ihm nicht gut geht. Vor allem aber sind wir als Team gestartet, wir werden als Team ins Ziel kommen, wie so oft zuvor.
Ob ich daran denke, wie es wäre, alleine weiterzulaufen? Ja, alles andere wäre gelogen. Ich würde es niemals tun, aber fällt es mir leicht? Nein. Trotz all der Verunsicherung habe ich mich gewissenhaft vorbereitet und bekomme heute von meinem Körper den Dank dafür. Die ersten 4000 Höhenmeter fühlen sich nämlich gar nicht schwierig an, auch technisch finde ich den Trail nicht so extrem. Aber vielleicht ist es genau das, was wir als Team heute brauchen. Freundschaft ist ein Geben und Nehmen, heute kann ich zum ersten Mal etwas zurückgeben, das ist ein sehr schönes Gefühl.
Halbzeit in Kals
An der Stüdlhütte warte ich eine Weile, wir stärken uns, danach geht es ohnehin abwärts Richtung Kals. Dort heißt es wieder: Kraft tanken! Mit Suppe, Nudeln und Broten kommt man hier wieder zu Kräften, ehe der vermeintlich einfache zweite Teil der Strecke wartet. „Nur noch 2000 Höhenmeter“, denke ich. Gut, dass ich noch nicht weiß, was uns erwartet.
Erst geht es durch eine wunderschöne Klamm in Richtung Berger Alm und Kalser Tauernhaus. Der Himmel ist bedeckt, doch der Wettergott meint es gut mit uns: Es beginnt nur zu regnen.
Der Weg Richtung Rudolfshütte ist ein einziges Meer an Steinen, laufen ist fast nicht möglich, die Steine sind groß, unrythmisch, rutschig. Die Hütte scheint meilenweit entfernt zu sein. Hier verlässt mich die Energie. Ich habe das Gefühl, nicht mehr gerade aus sehen zu können, jeder Schritt kostet überwindung.
Dazu weht plötzlich ein eiskalter Wind, der Himmel zeigt sich grau, nach dem Sonnenschein am Morgen ist jetzt Zeit für Regenhose, Jacke und Mütze – gut, dass wir alles dabei haben. Wir kämpfen uns aufwärts.
Als wir den Kalser Tauer erreichen, bin ich heilfroh, aber auch weit entfernt von Motivation und Spaß. „Wenn das so weitergeht, dann interessiert es mich nicht, noch aufs Kapruner Tärl zu steigen.“ Die Bergretter versichern uns aber, dass sich das Wetter auf der anderen Seite lichten wird und tatsächlich: plötzlich ist das Nebelmeer hinter uns, die Rudolfshütte in Sicht und wir steigen ab. Beim Schneefeld und auf dem nassen Fels ist Vorsicht geboten.
Rudolfshütte
Gehen, warten, es wird spät. Wenn ich bei der Rudolfshütte einfach aufhären würde – das Finish ist mir persönlich zu diesem Zeitpunkt völlig egal. Ich denke es nur, andere sprechen es laut aus. Aber Pepi, Nr. 1 – Motivator an der Labstelle spricht energisch dagegen:
„Jetzt aufhären, das hat überhaupt keinen Sinn. Irgendwo müsst ihr sowieso hin. Außerdem ist noch genug Zeit.“
Es wird also nichts mit meinen Plänen (die außer mir eh niemand weiß). Ich versuche klar zu denken: Mein Magen rebelliert schon länger, Energie brauche ich trotzdem. Also zwinge ich mich zu Suppe, Semmel und Cola. Nachdem klar ist, dass wir dieses Rennen definitiv erst im Ziel in Kaprun beenden werden, überkommt mich die ‚Wurschtigkeit‘. Was soll’s – äab jetzt ist alles egal. Nach der Hütte geht es erst einmal bergab, doch das Höhenprofil lügt nicht, uns erwartet noch ein 700-Höhenmeter-Anstieg.
Letzter Anstieg
Es geht bergauf Richtung Kapruner Tärl.
währendandere kämpfen und fluchen, habe ich nach der guten Suppe wieder Energie wie nie zuvor. Mit Leichtigkeit stapfe ich aufwärts, allerdings alleine. Denn als ich mich umdrehe, ist Helis Gesichtsfarbe so weiß wie der Schnee. Ich verliere meine Nerven
„Heli, das hat überhaupt keinen Sinn mehr. Wir hären jetzt auf! Du bist fix und fertig.
Wir müssen doch nicht um jeden Preis finishen. Ich mache mir Sorgen, dass du hier irgendwo hinunterfällst.“ Aber er sieht mich nur entgeistert an: „Es ist alles ok, ich bin nur leer, wir hären sicher nicht auf. Außerdem müssen wir sowieso über diesen Berg.“
„Na gut“, denke ich. Anstatt jetzt auszuflippen beschließe ich, dass meine einzige Mission heute Nacht sein wird, gemeinsam ins Ziel zu kommen. Ich stelle mein Denken um, versuche nicht zu weit vorne zu gehen und zu motivieren. Das Kapruner Tärl nähert sich im Zeitlupentempo, aber die Höhenmeter auf meiner Uhr steigen. Die Sonne ist bereits untergegangen, gerade noch ohne Stirnlampe erreichen wir das Tärl. „Super gemacht!“, rufen wir unsä zu und schon geht es abwärts.
Wenn es doch hell wäre…
Nach einer kurzen Passage mit losen Steinplatten folgt ein langes Schneefeld – ägenau richtig für garantiert nasse Füße und Blasen. Aber immerhin rutscht man hier wie auf Schienen bergab. Zu dem Zeitpunkt bricht die Nacht herein, es ist wieder Zeit für die Stirnlampen. Bei Tageslicht ist der Weg sicher ganz klar, jetzt in der Dunkelheit fällt die Orientierung teilweise sehr schwer. Immer wieder suchen wir nach den reflektierenden Fähnchen, die Flussquerungen sind immer wieder eine Herausforderung. Vermutlich durch die starken Schneefälle in der Vorwoche donnert hier überall das Wasser mit unbändiger Gewalt Richtung Tal. Bei jeder Querung lassen wir uns Zeit und sind konzentriert. Bis zu den Hochgebirgsstauseen ist es ein weiter Weg, vor allem wenn man geht. „Wie es hier wohl aussieht, wenn es Tag ist?“, frage ich mich, währendwir in unseren Lichtkegeln der Stirnlampen talwärts irren. Meine Nerven sind nach über 20 Stunden Anstrengung und etwa 40 Stunden ohne Schlaf sehr dünn.
„Nie wieder laufe ich hier mit, nie wieder.“
Noch 16
Wir erreichen die letzte Labe, ein Schluck Cola und auf in Richtung Ziel! „Heli, komm schon, noch 16 Kilometer, abwärts, das laufen wir.“ Das funktioniert ganz gut, 10 Kilometer vor dem Ziel ist es aber vorbei mit Energie und Motivation. Die endlos langen Wege scheinen kein Ende zu nehmen. Es gibt keine Labestelle mehr mit motivierenden Helfern, wenig Markierungen und wir kommen nur langsam voran. Als wir – endlich! – Kaprun erreichen, erblicke ich ein Straßenschild: „2 Kilometer bis ins Zentrum“. Jeder einzelne Asphalt-Meter bekommt jetzt den Zorn meiner Schuhsohlen zu spüren. Gesprochen wird nicht mehr, frei nach dem Motto: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Doch alles hat ein Ende, wir laufen das letzt Stück ins Ziel, geben uns die Hand, der Großglockner Ultratrail ist geschafft. Die Ziellinie fühlt sich heute aber so gar nicht rühmlich an.
Ein Lauf für die Freundschaft
währendich meine Emotionen gar nicht einordnen kann, fällt mir Heli in die Arme und ich weiß, dass ich alles richtig gemacht habe. Die Strecke ist anspruchsvoll und eine sehr große Herausforderung. 110 Kilometer und 6.500 Höhenmeter sind kein Pappenstiel. für mich aber war der Großglockner Ultratrail ein Lauf für die Freundschaft und ein Lauf, bei dem ich sehr viel gelernt habe. Sich gegenseitig helfen, zusammenhalten und wenn es nötig ist, das eigene Ego völlig herausnehmen. für die Ergebnisliste ist der Lauf nicht rühmlich, für die Freundschaft unersetzlich.
Hättiwari über eine mögliche Zeit spare ich mir. Ich bin stolz, dass wir den Großglockner Ultratrail gemeinsam gemeistert haben. Der Lauf ist so gar kein Monster, wie er schon äfter bezeichnet wurde; nein, der Glockner ist ein Segen für die österreichische Trailrunning Szene: Landschaft, Strecke, Organisation, Erlebnisfaktor – hier wurde ein Rennen geschaffen, das jeden Bergliebhaber glücklich macht.
[highlight]GGUT 2017 – ich freue mich jetzt schon![/highlight]