300 Kilometer, 26.000 Höhenmeter. Ein großes Ziel, eine große Herausforderung auf die ich bestmöglich vorbereitet war, ein großes Abenteuer am Mont Blanc. Stattdessen wurde es zum DNF = Did Not Finish.
Bereits 2 Tage vor dem Start beziehen wir unser Quartier in Chamonix, ‚Les Fleurs des Neiges‘, von der schönheit von Schneeblumen sind wir weit entfernt, aber wir schlafen bestens, mit dem Gaskocher wird am Balkon Reis mit Ei zubereitet, dazu ein Glöschen Wein. Nachmittags gehen wir wandern, schlendern durch die Straßen von Chamonix, genießen Cafä au lait und sehnen den Start am Montag herbei.
Der Renntag
Finalement! Endlich ist es soweit. Der PTL, auf den ich mich in jeder Trainingseinheit, jedem Rennen gefreut habe ist da. Zusammen mit meinem Freund Heli darf ich hier am Start stehen, ein Privileg, etwas ganz Besonderes.
Eine Stunde vor Start beginnt es wie verrückt zu regnen. Wir sind gut eingepackt in Regenjacke- und Hose, der Rucksack bekommt eine Regenhülle, wir haben ja alles dabei.
17:30 Uhr, es geht los! Wir laufen durch die Straßen von Chamonix, die gesäumt ist von begeisterten Zusehern. Jeder will abklatschen, begeisterte Rufe, das ist eine Stimmung wie ich sie noch nie erlebt habe: Gänsehaut pur, ehe es in die Berge geht.
Die PTL Starter schlängeln sich den ersten Anstieg hinauf, wie ein bunter Glühwurm sieht die Flut an Regenjacken aus.
Wir sind gut unterwegs, die Felsen sind nass und rutschig, jeder Schritt will gesetzt sein. Beim ersten Abstieg stürzen bereits einige Läufer. Im Wald dampft es, der Regen lässt nicht nach. Gegen 20:30 Uhr, nach 3 Stunden, wird es langsam dunkel: Rucksack absetzen, Stirnlampe herausnehmen und schon geht es hinein in den finsteren, nassen Anstieg. Bereits hier wird klar, dass die Berge mit dem großen Rucksack nicht einfach werden, die Träger schnüren sich in die Schultern, sodass es schmerzt. Ich versuche positiv zu denken, immerhin lässt der Regen nach.
Gegen 22:00 Uhr erreichen wir eine AnHöhe, die wir nutzen um uns umzuziehen. „Endlich trockene Sachen“, so der Gedanke. Das böse Erwachen kommt beim Öffnen des Rucksacks, die Regenhülle dürfte nicht ganz dicht gewesen sein bzw. vielleicht bin ich bei einem Baum oder Stein hängengeblieben, sodass es in den Rucksack geronnen ist. Sogar das Gewand, das ich extra in einen Müllsack gepackt habe, ist nicht trocken geblieben. Das Resultat: Bis auf eine Unterhose, eine kurze Hose und ein Shirt ist alles nass, wirklich alles. Abgesehen davon, dass ich somit bereits nach 3 Stunden keine Wechselbekleidung mehr habe, ist das Zeug um ein Vielfaches schwerer und ich habe noch mehr Kilos am Rücken. Aber es ist, was es ist und weiter geht es sowieso.
Auf und ab durch die Nacht, immer mit einem Auge auf Streckenbeschreibung und GPS. Es gibt bei diesem Bewerb keine Wegmarkierungen, teilweise gar keine richtigen Wege. So muss man ständig darauf achten, keine Abzweigung zu übersehen. Längere Zeit einem Wanderweg folgen kann in vielen sinnlosen Kilometern retour enden.
Wir machen nach jeweils 2, 3 Stunden kurze Pausen, Essen und Trinken darf man nicht vergessen, die Kombination aus Kälte, Nässe und etlichen Höhenmetern verlangt dem Körper unheimlich viel Energie ab.
Bis zum ersten ‚Refuge‘ (=Hütte) Trä la Tete sind es 33 Kilometer und bereits 3.800 Höhenmeter. Das klingt verrückt und fühlt sich auch so an. Das Licht der Hütte weist uns den letzten Kilometer den Weg, dort oben tummeln sich bereits jede Menge Läufer, die leeren Cola-Dosen und Teller stapeln sich auf den Tischen, genauso die stinkenden Schuhe vor der Tür der Gaststube. Einige beenden bereits hier den Bewerb.
Wir bestellen uns Suppe und Cola, das gibt Kraft, ehe es wieder hinausgeht in die kalte, dunkle Nacht. Ein Blick auf die Richtzeiten der Streckenbeschreibung zeigt uns, dass wir nicht viel Zeit verstreichen lassen dürfen. Der Abstieg ist rutschig, wir sind mit flottem Laufschritt, aber ruhig und bedacht unterwegs und sehnen den Sonnenaufgang herbei. Es gehört immer zu den schönsten Momenten, wenn der Nebel aufsteigt und die Bergwelt plötzlich wieder sichtbar wird.
Schon wieder warten über 1.000 Höhenmeter zum Col de la Ciclaz auf uns, es ist nicht einfach, wir haben den schweren Rucksack dabei, weil wir unabhängig sein wollten. Der Plan war, sich von Zeit zu Zeit etwas Warmes kochen zu können, dazu einen Kaffee zu trinken und mit Schlafsack und Unterlagsmatte unabhängig von den offiziellen Stellen zu sein. In der Theorie war der Plan gut, in der Praxis kostet uns das Gewicht so viel Energie und Zeit, dass genau dafür keine Zeit ist. Auf schlafen müssen wir verzichten, die Essenspausen fallen kurz aus, der Rest passiert unterwegs.
Ich bin etwas frustriert, zwar soll man positiv denken, aber bereits nach 12 Stunden wissen wir, dass die Zeitlimits knapp gesetzt sind und für das Abenteuer und Erlebnis, auf das ich mich so gefreut habe, eigentlich keine Zeit ist.
Der nächste Abstieg wird zur Rutschpartie, eine steile, nasse Wiese ohne richtigem Weg. Obwohl ich gut aufpasse, rutsche ich zweimal davon, zum Glück nur ein paar Abschürfungen. Es heißt aufpassen, die paar Kilometer abwärts sind nicht zum Ausrasten.
Am Vormittag erreichen wir die nächste Hütte, wieder gibt es Suppe, Käse, Kaffee und Cola, wieder beenden einige Läufer das Rennen. „Wir schaffen es nicht in der Zeit, wir haben noch nichts geschlafen, das ist uns zu gefährlich.“ Das ist für uns kein Thema, aber unser Zeitplan muss noch straffer werden.
Die Zehen werden schnell neu abgeklebt, um Blasen zu vermeiden, dann geht es wieder hinauf, der nächste ‚Col‘ wartet. Die Bergwelt ist traumhaft schön, für Fotos und in Gedanken zu schwelgen bleibt keine Zeit. Wir müssen weiter, sonst wird das nichts. In der Mittagshitze müssen wir jetzt aber ein wenig rasten, damit zumindest ein bisschen etwas von der nassen Bekleidung im Rucksack trocknet.
Die Stimmung ist nicht gerade prickelnd, nach der Pause hetzen wir bergab, an der Hütte vorbei. Es ist bereits 15:00 Uhr, die nächsten 1000 Höhenmeter warten auf uns. Bis zum Refuge de Bresset soll es noch ein weiter Weg werden. Erst geht es leicht bergauf und bergab, ehe es steil wird. Heli geht voraus, ich komme nicht nach. Ein Zweier-Team ist eine tolle Sache, es ist aber nicht schön, wenn man genau weiß, dass man in dem Moment einfach keine Energie mehr herausquetschen kann, weil sich der Körper weigert. „Heli, bitte 5 Minuten Pause.“ Ich muss essen, wenn etwas hilft, dann Zucker. Schnell gebe ich eine Packung Frühstücksmarmelade auf eine Scheibe Reisbrot, ein Stück Landjäger und dann muss es weitergehen. „Jetzt komm schon, gib Gas“, sage ich mir. Ich gebe mein Bestes, aber nach fast 24 Stunden und tausenden Höhenmetern ohne Schlaf hilft der beste Wille nichts, mein Körper weigert sich, wir kommen nur langsam voran.
Es gibt bei diesem Bewerb nur 2 möglichkeiten: Entweder es geht bergauf oder bergab. Um 18:30 Uhr spreche ich das aus, was ich schon länger im Kopf habe. „Heli, ich muss jetzt ganz ehrlich sein. Ich glaube nicht, dass wir das im Zeitlimit schaffen.“ Bis am nächsten Morgen um 8 Uhr müssten wir 40 Kilometer und 3500 Höhenmeter bewältigen. In einem normalen Rennen wäre das überhaupt kein Problem, in dem Zeitfenster ein Klacks. Mit unseren Rucksäcken und in dem technisch schwierigen Gelände tickt die Uhr anders. „Ich habe es mir auch schon gedacht, das hat keinen Sinn“, sagt Heli.
Wir setzen uns hin, schauen in die Luft, es ist unfassbar. Aus der Traum.
Wir gehen jetzt also weiter bis zum Refuge La Bresset, dort werden wir rasten und am nächsten Morgen versuchen, irgendwo ins Tal abzusteigen.
über den Berggrat am Weg dorthin kann ich nur immer wieder den Kopf schütteln. Ich mag technisch schwieriges Gelände, Kletterei, ich liebe das. Aber auf eine sichere, überschaubare Art und Weise. Hier ist das anders. Es ist ein einziges Fixseil gespannt und das ist mit einem Achterknoten befestigt, den ein Kletteranfänger sicher besser macht. Mir ist das zu riskant, ich hantle mich an den Felsen nach unten. Der weitere Weg ist wieder unheimlich rutschig. Die Konzentration ist sowieso nicht mehr die beste und so geht es teilweise auf allen vieren abwärts. Was bin ich froh, wenn das hier vorbei ist!
Die Hütte rückt in sichtbare Nähe, wir haben keinen Zeitdruck mehr und versuchen ganz einfach, sicher und gesund dort anzukommen.
20:30 Uhr. Nach 27 Stunden gehe ich zu einem der Organisatoren. „Pour nous, c’est fini.“, was soviel bedeutet wie ‚Es ist vorbei, wir sind raus.“ Er meint plötzlich, nein, nein, wir sollen keinesfalls aufgeben, es seien so viele Teams außerhalb des Zeitlimits, dass vielleicht der übernächste Berg mit 1500 Höhenmetern verkürzt würde oder das Zeitlimit verlängert. „Was ist mit der Strecke? Ist es sehr technisch?“ – „Nein, nein“, bekommen wir als Antwort, kein Problem.
Nach kurzer überlegung ist klar: Ok, wir geben noch nicht auf, ev. gibt es eine 2. Chance! Denn wenn wir es bis Kilometer 104 schaffen, können wir Sachen aus unserem Rucksack herausnehmen, in den Drop-Bag geben und wir kommen ganz anders voran.
Hütten-Routine: Suppe, Kaffee, Cola und dann machen wir uns bereit. Jetzt ist die Energie wieder da, so auch die Freude!
Ehe wir den Weg finden, dauert es eine Weile, aber wir sind zuversichtlich. Vielleicht schaffen wir es ja doch! Aufstieg, Abstieg, viel Geröll, aber ein guter Weg. Nach einer Weile folgt ein Blick aufs GPS: „Heliiii, wir sind falsch!“ „Was, wieso, da war doch nirgends eine Abzweigung?“ „Ja, aber schau, der Track geht weiter oben rechts weg, wir müssen retour.“ Das GPS führt uns in einen Haufen Steine und Geröll. Ernsthaft? Es ist hier nichts, außer großer Felsbläcke. Aber weiter oben sind zahlreiche Stirnlampen zu sehen, wir müssen also richtig sein. Warum die Stirnlampen immer auf- und abwandern ist uns nicht klar. „Vielleicht suchen sie den Weg?“ –
Danach beginnt der verrückteste Anstieg meines Lebens. Man stelle sich Steinplatten und Geröll vor, ohne Weg, bis zu 40 Grad steil. Es ist in der Tat noch viel verrückter als es klingt, es ist – in meinen Augen – völlig sinnlos. Abenteuer ist das eine, die Gesundheit der Teilnehmer willkürlich aufs Spiel zu setzen das andere. Heli vergleicht es mit einem Himmelfahrtskommando und er hat völlig Recht. wäre es nicht mitten in der Nacht und hätten wir vorher gesehen, was für ein ‚Berg‘ da kommt, wir wären nicht hinaufgegangen. Hinunter geht es aber jetzt schon gar nicht mehr und so konzentrieren wir uns auf jeden einzelnen Schritt. Auf keinen Fall gehen wir zu eng zusammen, die Gefahr, dass irgendwelche Platten ins Rutschen und Rollen kommen und den anderen erschlagen, ist viel zu groß. Bei Regen will ich mir diese Passage gar nicht vorstellen, bei einem Gewitter wäre man hier überhaupt völlig schutzlos ausgesetzt. Zu viel darf ich gar nicht nachdenken, einen Schritt nach dem anderen setzen und darauf hoffen, dass dieser Wahnsinn bald ein Ende hat.
Oben angekommen, sind wir erleichtert. Hinsetzen, durchatmen und den Kopf schütteln. 2 Tage zuvor, beim Briefing, wurde den Verantwortlichen der Strecke applaudiert, jetzt würde ich mich wirklich gerne mit ihnen über Sinn uns Unsinn unterhalten. Zum 10-jährigen Jubiläum wollte man die Strecke angeblich besonders extrem machen –
Zum Glück ist beim Abstieg ein Weg ersichtlich, es ist nicht mehr ganz so steil. Mein Kopf spielt mir bereits Streiche, ich bilde mir die ganze Zeit ein, dass wir zu dritt unterwegs sind und immer wieder frage ich mich, wo denn nun unsere weitere Begleiterin ist, drehe mich um, ehe ich mich wieder erinnere, dass wir wirklich nur zu zweit sind. Nach vielen Stunden kommen wir gegen 4:15 Uhr zur nächsten Hütte in Les Echines. Dort fragen wir, ob die Strecke nun verkürzt wurde. „Nein, aber das Zeitlimit wurde auf 10:00 Uhr gesetzt“. Das heißt für ca. 1600 Höhenmeter und 20-25 Kilometer haben wir nach einer kurzen Pause noch knapp über 5 Stunden Zeit. Wir sind ausgepumpt, aber hinauf nach St. Bernhard müssen wir sowieso. Wir beschließen also, noch einmal alles zu geben und dann sehen wir, was am Ende herauskommt. Die Uhr tickt. Ich bin konzentriert, fokussiert, vergesse das Gewicht am Rücken und glaube an unsere Chance. Bläd, dass mir gegen 6:00 Uhr die Augen währenddes Aufstiegs zufallen. So sehr ich mich dagegen wehre, es wird nicht besser. Zwar ist es ein normaler Waldweg, aber einschlafen und den Abhang hinunterkugeln ist nicht unbedingt mein Ziel. Ich versuche es mit einem Power-Nap: 10 Minuten am Straßenrand hinlegen und dann muss es weitergehen. Das tut es, meinem Körper ist meine Theorie von 10 Minuten Schlaf nach 36 Stunden Anstrengung herzlich egal. So kann ich nicht weitermachen, noch einmal packe ich den Biwaksack aus dem Rucksack, lege mich neben die Straße und schlafe nach wenigen Sekunden tief und fest. Diese 15 Minuten haben plötzlich Wunder bewirkt, die Augen machen wieder, was ich möchte und wir kommen aufwärts. Dennoch wird das Zeitlimit immer knapper. Auch ein deutsches Team mit Dieter, den ich beim Via Natura im Mai getroffen habe, strauchelt mit der Zeit. für eine Weile schließen wir uns zusammen, danach gehen wir wieder getrennt. Die Zeitbarriere in St. Bernhard werden wir beide nicht schaffen. Die nächsten 500 Höhenmeter auf den Col de la Forclaz geben uns den letzten Rest, aber es ist egal, das Rennen ist für uns vorüber. Gegen Mittag, 2 Stunden zu spät, sind wir im Refuge St. Bernard, geben unseren GPS-Tracker ab und dann ist es endgültig vorbei.
Die Enttäuschung ist groß, die Erleichterung aber größer. Gott sei Dank ist uns nichts passiert, wir sind nach knapp 105 Kilometern und 9000 Höhenmetern ausgestiegen. Der Rucksack mit über 10 Kilo war ein zu großes Hindernis, vielleicht war er aber auch ein Segen. Wer weiß, was auf der weiteren Strecke noch auf uns zugekommen wäre. Der PTL ist Geschichte, es gibt genügend Bewerbe, Herausforderungen und Abenteuer, die auf mich und uns warten. ‚La Petite Trotte‘ ist ist mit einem unkalkulierbarem Risiko verbunden, meine Familie ist mir wichtiger als irgendein Finish.
Am Abend bringt uns der Bus über viele Umwege zurück nach Chamonix, mir fallen die Augen zu, ich bin erledigt. Wie heißt es so schön: Das Leben hält sich nicht an Pläne. Oder, wie meine Mutter gerne sagt: „Du musst ja nicht überall dabei sein.“ Diesmal hat sie Recht, der PTL wird mich nicht wiedersehen.