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Rennbericht Via Natura 100 Meilen

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100 Meilen laufen, im Fall vom Via Natura Ultra Trail: 167 Kilometer und ca. 7000 Höhenmeter.
Warum?
Auch nach langem überlegen kann ich darauf keine Antwort geben, die ein Außenstehender verstehen würde.
für mich persönlich ist es die Lust am Abenteuer, die Emotionen, das Erlebnis und natürlich das Ausloten der eigenen Grenzen. Was man nach über 150 Kilometern fühlt, wird nur der verstehen, der sich ebenso auf ein solches Abenteuer eingelassen hat.

Ich hatte nie geplant, bei einem 100-Meilen-Lauf zu starten. Das hatte ich zwar bei den 100-Kilometer-Läufen auch nicht, aber 100 Meilen erscheinen mir doch als ganz eigene Kategorie. Da mein Begleiter und Freund Heli und ich aber für den PTL im August angemeldet sind (300 Kilometer um das Mont Blanc Massiv), muss ich irgendwo Selbstvertrauen tanken, einen Testlauf einlegen. Ich will wissen, wie ich mit dem Schlafentzug umgehe, was mit meiner Muskulatur passiert, kurz gesagt: ob ich es schaffe.

Im Jänner überlege ich noch, im März bin ich angemeldet – nichtsahnend, dass der April trainingstechnisch eine Katastrophe werden würde. Eine hartnäckige Nebenhählenentzündung lässt wenig bis gar kein Training zu.
„Den Via Natura kann ich schmeissen“, sage ich 2 Wochen vorher noch, doch als ich mich wieder besser fühle, mache ich noch ein paar lange Trainingseinheiten, um mich zu testen und beschließe dann doch, es einfach zu versuchen. Im schlimmsten Fall muss ich das Rennen vorzeitig beenden, DNF = Did not finish ist aber etwas, das ich mit aller Kraft zu vermeiden versuche.

Heli ist auch angemeldet, man könnte ihn auch Herrn Zuversicht nennen. Er ist fix davon überzeugt, ins Ziel zu kommen und dieser Funke springt auch auf mich über. Ich versuche jegliche negativen Gedanken zu verdrängen und konzentriere mich auf das Positive. Vor allem vertraue ich auf meinen Sturkopf und meine guten Nerven.

Anreise nach St. Lambrecht
Wir fahren am Freitag zu Mittag in die Steiermark. Obwohl die Wetterprognose ganz miserabel ist, nieselt es nur leicht und die Schlechtwetter-Front scheint vor dem Start bereits vorüber zu sein.
Startnummernabholung, Briefing, Wechselsäcke packen, Trinkblase auffüllen, vor dem Start wird es doch immer ein wenig stressig, aber ich kann den Start kaum erwarten. Ist der Startschuss endlich gefallen, ist auch die Aufregung verflogen und ich kann mich auf das Wesentliche konzentrieren: nämlich zu laufen.

Start
Vor dem Start gehen sich aber noch nette Gespräche aus, das liebe ich so an der Ultra Gemeinschaft, alle sind locker und relaxed, so muss es sein. Immerhin ist das unser Hobby! Und auf so einer Langdistanz passiert immer irgendetwas, die Frage ist nur, wie man damit umgeht.
Pünktlich um 18:00 Uhr fällt der Startschuss, es geht los, hinaus aus Sankt Lambrecht, weiter zum Auerlingsee und hinauf aufs Scharfe Eck. Der erste Anstieg ist bereits extrem steil, aber zu Beginn sind wir noch energiegeladen und erreichen gut und schnell den ersten Wasserkanister bei der Dreiwiesenhütte. Es geht weiter aufwärts, aufwärts, als ich zur Sicherheit das GPS auf meiner Uhr kontrolliere und schreie: „Heli, Stopp, da passt was nicht!“ So ein Sch – komplett falsch, wir laufen alles wieder retour hinunter und versuchen den richtigen Weg zu finden. Aber gut, einmal verlaufen kann passieren.
Hinunter nach Pällau dämmert es, die erste Nacht bricht herein und es ist Zeit für die Stirnlampe.
Bei Kilometer 30 ist der erste Livepoint, bis dorthin verlaufen wir uns noch äfter, vor allem kurz vor der Ortschaft Mühlen irren wir eine gefühlte Ewigkeit im Wald herum. Die Markierung geht in 2 Richtungen, wir nehmen offensichtlich die Falsche. Irgendwann kommen auch 2 Slowaken von hinten, die ebenfalls falsch abgebogen sind. Als wir nicht weiterfinden, kehren wir um und finden zum Glück die richtige Abzweigung. Das hat allerdings Zeit und Kilometer gekostet, bei Livepoint 1 haben wir statt 30 bereits 36.6 Kilometer. In einem normalen Rennen wäre das kein Problem, aber im Wissen, was noch vor einem liegt, tut das ganz schön weh.

Mitternacht
Gegen Mitternacht brechen wir auf zur Tonnerhütte, einmal hinauf und wieder hinunter, es herrscht dichter Nebel. Wir kommen ein zweites Mal zum Gasthaus bei Livepoint 1. Ich gehe kurz aufs Klo, bei der Bar stehen noch ein paar Nachtschwärmer, einer davon stellt sich bei mir als Bürgermeister von Mühlen vor und lässt sich nicht von Bussi links und rechts abhalten.
Weiter gehts! Der Weg ist wieder unklar, diesmal dauert das verlaufen aber nicht ganz so lang und wir kommen gut voran Richtung St. Martin am Silberberg. Was ich von der ersten Nacht noch weiß ist eine andauernde Wegsuche, ein Bauchfleck am Weg abwärts und das erleichternde Gefühl um 5 Uhr Morgens, als wir die Stirnlampe wieder in den Rucksack packen können.
Von gräberer Müdigkeit bleibe ich verschont und die Zeit vergeht extrem schnell. Wir sind bereits 11 Stunden unterwegs, ruhig und konstant. Das Hauptziel lautet Finishen, alles andere ist beim ersten 100-Meiler unwichtig.

Endlich Suppe
Der nächste Livepoint = Labestation und die möglichkeit, Schuhe und Bekleidung zu wechseln, wartet bei Kilometer 79 auf uns. Bis dorthin ist es noch ein weiter Weg, weiteres Verlaufen, sich ärgern, und einfach wieder weitermachen. Die Forststraße, auf der wir jetzt unterwegs sind, ist etwa 10-15 Kilometer lang und ist für mich der zermürbendste Abschnitt. Man weiß nicht, wo man ist, wo sich die Hütte befindet, es ist einfach nur monoton. „Ich will jetzt endlich eine Suppe – ä wo ist dieses verdammte Klippitzthärl?“
Wir sprechen nicht mehr besonders viel, ein Schritt nach dem anderen, dann werden wir auch irgendwann den 2. Livepoint erreichen.
Um ca. 10:00 Uhr ist es soweit und wir sind sehr erleichtert. Der warme Tee und die Suppe sind eine Wohltat, es tut gut, sich kurz hinzusetzen und die Schuhe zu wechseln. Nachdem wir etliche Kilometer durch die nasse Wiese gelaufen sind, hilft auch der beste Gore Tex Schuh nichts mehr und um Blasen zu vermeiden, sind trockene Socken und Schuhe Priorität Nummer 1.
Der folgende Abschnitt – bis wir wieder hier ankommen – ist 37 Kilometer lang. Es geht über Forstalpe, Saualpe und einige Hütten über die Bergrücken. Wir rechnen damit, am frühen Abend wieder hier zu sein – gut, dass wir noch nicht wissen, was uns die nächsten Stunden erwartet.

Ein Kaffee, bitte
Anfangs geht es noch gut voran, doch bei etwa Kilometer 85 habe ich den ersten wirklich schweren Einbruch. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, meine Augen wollen nicht scharf stellen und es fällt mir unglaublich schwer, hier weiterzukommen. Es geht immer wieder auf kleine Gipfel hinauf, wir machen zwar keine nennenswerten Höhenmeter, aber in meinem Zustand kommt mir alles ganz extrem vor. Ich merke, dass Heli fit ist, aber ich kann tun was ich will, es geht gar nichts. So funktioniert das nicht: „Heli, können wir bei der Hütte bei Kilometer 92 einen Kaffee trinken?“ .. „Ja sicher“ .. Ich bin erleichtert und hoffe, dass der Koffeinschub hilft.
Der Duft dieses Kaffees ist ein Traum! Selten hat ein Kaffee so gut geschmeckt und danach fühle ich mich wie ein neuer Mensch.
Es kann weitergehen! Auf zur Pällauer Hütte. Hm, ja wenn wir doch die Markierung finden würden. Bis wir wirklich bei der Hütte ankommen, dauert es eine Ewigkeit.

Wegsuche

Meine Uhr ist leider ausgefallen, wir stehen zu siebt mitten in der Prärie und keiner weiß, wohin. Der Track scheint laut GPS-Geräten weiter unten zu sein, aber es ist weit und breit kein Weg in Sicht. Eine Ungarin folgt ihrem GPS – Gerät und verschwindet auf einmal im Nebel. Bis zum nächsten Livepoint nimmt sie uns einige Stunden ab, ob das mit rechten Dingen zugegangen ist, bezweifle ich –
Wir suchen und suchen, bis wir in der Ferne endlich gelbe Wegweiser entdecken, anhand derer wir zur Hütte finden. Danach wird es nicht viel einfacher mit der Navigation, immer wieder geht es auf und ab, steil und steiler, es ist brutal mühsam. Bei der letzten Hütte frage ich den Hüttenwirt nach dem richtigen Weg, er muss es schließlich wissen.
In der Gewissheit, am richtigen Weg zu sein, haben wir trotzdem noch über 3 Stunden Wegzeit vor uns, bis wir bei Kilometer 116 ankommen. Zu dem Zeitpunkt ist es bereits 22:30 Uhr, wir waren eine Ewigkeit unterwegs.
Hier steigen einige aus dem Rennen aus, zu groß ist die Erschäpfung, zu sehr schmerzen Blasen und Muskulatur.
Wir fühlen uns aber gut. Erstmal eine Pause einlegen, wieder Suppe essen und stärken. Jetzt sind wir schon fast 29 Stunden am Weg, Wahnsinn –
währenddie ersten bald das Ziel erreichen, liegen noch viele Stunden und Kilometer vor uns.

Noch 50 Kilometer
Aber jetzt kann uns nichts mehr vom Finish abbringen – nur noch knappe 50 Kilometer, das schaffen wir sicher! Labestation gibt es keine mehr, wir müssen alleine zurechtkommen, aber unsere Rucksäcke sind gut gefüllt, das sollte also kein Problem sein.

Die Kälte bei Nacht
Um die Uhrzeit bin ich sogar völlig high, spüre keine Müdigkeit und fühle mich superfit! Das geht bis ca. 1 Uhr Früh so weiter, bevor es Richtung St. Martiner Hütte auf ein Plateau auf 1700 Meter hinausgeht, wo starker Wind weht und mir plötzlich eiskalt wird. Ich habe vorher schon gemerkt, dass meinem Körper die Energie fehlt um mich warm zu halten, aber deshalb habe ich beim letzten Livepointä noch eine weitere warme Schicht angezogen. Trotzdem: es hilft nichts. Mir wird so unglaublich kalt, dass ich wirklich Angst habe, völlig zu unterkühlen.
Weil wir mittlerweile zu dritt unterwegs sind und unser Begleiter wohl vergessen hat, seine Stirnlampe aufzuladen, leuchten wir ihm die ganze Nacht den Weg. Das kostet viel Zeit und vor allem ist es so auf schwierigeren Passagen unmöglich zu laufen und wir müssen fast überall gehen. Dennoch: In der Nacht lässt man hier niemanden alleine.
In dem Tempo wird mir aber schon gar nicht wärmer, sondern nur noch kälter und kälter.
Jetzt heißt es die Notbremse ziehen. Ich bin heilfroh, nicht alleine zu sein. Heli gibt mir noch ein Shirt von ihm, auch eine weitere Windstopper Jacke ziehe ich an. (Ich trage jetzt insgesamt 2 T-Shirts, 2 Langarm Thermo-Shirts, eine ärmellose Windstopper-Jacke, und 2 Windstopper Regenjacken. Im Normalfall müsste ich schwitzen wie verrückt, ich fühle mich eher am erfrieren. Heli verordnet mir eine Cola, dazu esse ich Schokolade um mich aufzuzuckern und dann muss es weitergehen. Dabei fällt mir die Geschichte vom kleinen Bär und kleinen Tiger ein – „Wie gut wenn man einen Freund hat, denn dann braucht man sich vor nichts zu fürchten.“

Bewegen, bewegen, bewegen! Ich verfluche dieses Plateau hier oben „Sch – Wind, Sch – Kälte“, mehr als 0 Grad hat es sicher nicht. Ich laufe am Stand, vor und zurück, nur nicht noch weiter auskühlen. Die Bewegung hilft, aber kaum gehe ich wieder, kehrt die Kälte zurück. Das kostet sehr viel Energie, aber ich will schließlich ins Ziel und werde alles daran setzen, dass ich dort auch ankomme.

Die zweite Nacht ist vorbei
Um gut 5 Uhr Früh ist langsam ein Ende in Sicht (auch wenn wir uns noch einmal grob verlaufen). Ein langes Asphaltstück bringt mich noch einmal an meine Grenzen, nicht muskulär, sondern mir fallen die Augen währenddes Gehens zu. Von Erzählungen kannte ich das, glauben kann man es erst, wenn es einem selbst passiert. Riesengroße überwindung ist nötig, um die Augen offen zu halten. Mein Magen spielt mittlerweile auch ein bisschen verrückt und ich muss ein paarmal in die Büsche. Das könnte aber schlimmer sein und es ist nicht mehr weit.
Beim letzen Wasserkanister in St. Marein scheint die Sonne und ich kann endlich meine unzähligen Bekleidungsschichten im Rucksack verstauen. Das Ziel ist in Reichweite, nur noch durch die – wunderschöne – Gragger Schlucht und über den letzten kleinen Berg.

Ab ins Ziel
Mir geht es jetzt wieder richtig gut, die Energie kehrt zurück (auch wenn ich im Wald in jeder Wurzel und jedem Ast ein Tier sehe und Heli Musik härt…) Das letzte Stück laufen wir wieder, das Stift St. Lambrecht ist schon in Sicht. Das Finish hier kann uns niemand mehr nehmen, ein Wahnsinn! Wir haben es wirklich geschafft, 167 Kilometer und über 7000 Höhenmeter, mit dem vielen Verlaufen vermutlich mehr als 180 Kilometer.
Aber jetzt ist alles egal, wir geben uns die Hand und laufen gemeinsam ins Ziel! Ein Traum!

Was man alles erreichen kann, weiß man erst, wenn man es versucht hat. Ich bin sehr, sehr stolz, hier zu den Finishern zu zählen.
Von 37 Startern erreichen nur 15 das Ziel.
Bei den Damen werde ich Dritte, in der Wertung der österreichischen Meisterschaften im Ultratrail 2. hinter Ulli Striednig. Ulli ist sehr erfahren und gehört sicher zu den besten Asudauerathletinnen in österreich. Sie ist Stunden vor mir ins Ziel gekommen, jedenfalls Riesen Respekt an der Stelle für diese Leistung!

Nach dem Zieleinlauf wartet die Dusche auf mich, eine echte Wohltat. Danach lege ich mich kurz ins Bett. Ich bin bereits 54 Stunden wach, alles was ich jetzt will ist mich hinzulegen. natürlich stelle ich mir den Wecker, um die Siegerehrung nicht zu verschlafen – gleich 2 davon, damit nichts passiert.
„Klopf Klopf, Sigrid, Sigriiiiid“ – „HA – “ – Ich kenne mich gar nicht aus, schaue auf die Uhr, es ist bereits 15:15 Uhr, Thomas Bosnjak – der Veranstalter, klopft an meine Tür. Ich springe aus dem Bett und sprinte zur Siegerehrung. Da mussten alle 20 Minuten auf mich warten – sorry und Danke für die Geduld!
Ich bin mehr als glücklich und stolz, 100 Meilen sind eine ganz besondere, einzigartige Erfahrung.
Ob ich noch einmal 100 Meilen laufe? Ich weiß es nicht, aber so wie ich mich kenne, vermutlich ja – das nächste Mal dann mit richtigem GPS und guter Streckenkenntnis.

Jetzt heißt es erst einmal erholen, viel schlafen und dem Körper, vor allem aber dem Geist Zeit geben, um die vielen Erlebnisse zu verarbeiten.
Danke an alle für die Veranstaltung, die netten Gespräche in der Nacht, den Zusammenhalt; das sind Momente, die man ein Leben lang nicht mehr vergisst.

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